Singen lernen ohne Vorbild?

Wenn Du mit dem Singen lernen beginnst, ist es unbedingt wichtig, dass Du ein brennendes Verlangen dafür entwickelst, DEINE Stimme zu erschließen. Du musst offen und neugierig dafür sein, was sie Dir offenbaren wird.

Mein Problem war, dass ich glaubte Tenor zu sein und es auch unbedingt sein wollte.

Damals, 1987, gab es für mich nur Carreras, Domingo, Pavarotti und Peter Hofmann. Alle meine Bemühungen zielten darauf ab, wie einer von ihnen zu klingen, am besten wie alle zusammen.

Warten auf ein Wunder …

Gemeinsam mit meinem ahnungslosen Gesangslehrer wartete ich auf ein Wunder. Auf den Moment, wo es “Klick” machen würde und es mir endlich gelingen sollte “loszulassen” und die hohen Töne locker würde singen können.

Die Verrücktheit dieser Mission wurde mir erst nach und nach in ihrem vollen Umfang bewusst, je mehr ich selbst lernte, mich aufnahm und analysierte und schließlich feststellte dass ich bestimmt kein Tenor, noch nicht mal Bariton, sondern Bass war. Also gut und gern eine Quint, mindestens jedoch eine Quart tiefer gelegen als meine “Idole”.

Achtung Fehleinschätzung!

Natürlich hat ein Anfang-20er, der gerade begonnen hat zu singen, noch nicht den fetten, dunklen Sound eines Opern-Basses.
Die Stimmfarbe schien näher am Tenor zu sein. Anfängliche Aufnahme-Vergleiche liessen mich damals zu der Überzeugung gelangen, dass ich ein besonders edles und seltenes Stimmmaterial haben müsse, weil ich doch in den tieferen Lagen viel voller klang als meine Tenor-Vorbilder. Kein Kunststück, wenn man eine Bassstimme hat, doch das wusste ich eben damals noch nicht.

Eine Fälschung? Oder lieber doch das Original?

Wie auch immer – Im Gesang gilt einmal mehr, was im Leben allgemein gilt: Keine Kopie ist so gut wie das Original. Und jeder Mensch ist ein Original und sollte niemals versuchen, ein zweiter “jemand anders” zu werden.

Sind wir doch mal ehrlich: Es gibt kaum etwas Lächerlicheres als ein “Superstar-Imitator”, der alles tut, um seinem Idol so nahe wie möglich zu kommen, weil alles andere ihm sinnlos scheint.

Jeder Mensch kann nur sich selbst voll entfalten, nicht die Kopie eines anderen. Die Imitation eines anderen bleibt immer beschränkt, so wie die Geisteshaltung, die dahinter steht.

Sei also das Beste, was Du sein kannst: Sei Du selbst!