Was ist Singen überhaupt? – Das Wesen des Singens

Kaum jemand stellt sich jemals die Frage, was Singen überhaupt ist.
Meine Antwort: Singen ist „sprechend Musik machen mit der Stimme“!

Denn der Ausdruck des Sprechens beim Singen ist genauso wichtig wie der musikalische Ausdruck, also die Phrasierung.
Singen ohne sprachlichen und musikalischen Ausdruck ist sinnlos, und zwar völlig unabhängig vom Musikstil!

Diese Aussage ergibt sich aus dem Zweck des Singens. Warum nämlich singt der Mensch? Um Gefühle auszudrücken – das ist der einzige Grund. Das Bedürfnis, sich auszudrücken und zwar nicht auf intellektueller, sondern eben auf emotionaler Ebene.
Ebenso sinnlos sind tote Vokalisen sowie mechanistisches Üben jeder Art.

Singe deshalb niemals, nie, auf gar keinen Fall, tote, bedeutungslose Töne.
Jeder Ton, den Du jemals singst, muss emotional getragen werden. Sonst ist er nicht nur künstlerisch und musikalisch wertlos, sondern auch stimmhygienisch schädlich.
Beobachte Deine natürlichen Affekte wie Gähnen, Stöhnen und Seufzen bei jeder Gelegenheit sehr genau. Je genauer Du sie beobachtest, desto besser kannst Du sie beim Singen reproduzieren und wie ein Schauspieler abrufen.

Gerade am Anfang solltest Du beim Singen auf einen gesunden Minimalismus achten.
Das heisst, mache nie mehr als Du musst. Die besten Sänger sind immer Minimalisten und umgekehrt – die schlechtesten Sänger übertreiben ständig. Overdoing all the time. Sie atmen zu tief, singen zu viel, zu laut, zu hoch und zu lange und sind von einem krankhaften Fleiß befallen, der sie nur immer weiter von ihrem Ziel abbringt.

Ich spreche da sowohl aus eigener Erfahrung als auch als aufmerksamer Beobachter. Es gab eine Zeit, da habe ich selbst geglaubt, dass viel auch viel hilft. Es gibt wahrscheinlich kaum eine Disziplin, bei der das so wenig zutrifft wie beim Singen!
Du kannst Deine Feinmotorik nur trainieren, wenn Du auch feinmotorisch vorgehst, glaub mir. Und Singen ist reine Feinmotorik, auch bei den lautesten Tönen, doch dazu kommen wir in einer späteren Lektion.

Wer immer nur auf seiner Stimme herumhaut, weil er groß und laut klingen und schnell vorwärts kommen will, riskiert nicht nur, dass er sie verliert – er wird es auch einfach nie vernünftig lernen.

Derjenige aber, der cool bleibt, und fast „auf einer Arschbacke“ singt, der hat die besten Chancen ein guter Sänger zu werden und zu bleiben, Spaß zu haben und seine Nerven zu schonen.

Wir beginnen deshalb nicht mit sinnlosen Tonleitern, sinnlosem Gebrülle von hohen Tönen, wir verschwenden unsere Zeit nicht mit Dingen, mit denen ich selbst und so viele andere sie jahrelang verschwendet haben. Wir beginnen mit dem Essentiellen: Dem sprechenden Musik machen mit der Stimme in seinem Ursprung, zu dem wir immer wieder zurückkehren: Dem sprechenden Musik machen mit der Stimme in der unteren Mittellage!

Die untere Mittellage ist die Lage, in der Deine Stimme zu Hause ist, in der sie ruht und sich niemals verspannt. Es ist die Lage, in der Du immer einen Ton produzieren kannst, egal, ob man Dich Nachts um 3 weckt oder Du gerade von einem Marathon-Lauf zurück gekommen bist. Nur bei einer schweren Layngitis (Kehlkopfentzündung) kann es ganz selten mal passieren, dass auch hier nichts mehr geht.

Es ist die Lage, in der wir markieren, uns einsingen und auch am schönsten singen können (wenn wir es können), ganz leise und entspannt, bevorzugt mit Mikrofon.

Berühmte „Mikrofon-Gesang-Lieder“ sind z.B. „In the Ghetto“ von Elvis Presley oder „The Girl from Ipanema“ von Carlos Jobim.

Als ich mit dem Singen anfing, konnte ich schon recht gut diese Art von Liedern singen,
weil ich sprachlich und musikalisch begabt war.
Allerdings war meine Stimme überhaupt nicht erschlossen und hatte viele Blockaden.
Ein stimmliches Talent war ich nicht – diesen Part musste ich also mühsam erlernen.

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