Die Ausgangslage

Ebenso schwierig wie die Frage, was Singen eigentlich ist, stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Operngesang und Popgesang dar. Ist es nicht alles das Gleiche?

Beginnen wir mit dem Operngesang …

Viele Leute verbinden mit Operngesang etwas Künstliches, Unnatürliches und beginnen zu knödeln, wenn sie ihn imitieren wollen. Warum ist das so?

Ich bin zwar selbst Opernsänger, aber da ich mich erst als Erwachsener damit beschäftigt habe und von Hause aus eigentlich “Popper” bin, habe ich ein recht gutes Gefühl dafür, wie “Otto Normalverbraucher” fühlt, wenn er Opernsänger/innen hört.

Bei mir war es so, dass ich einen sehr bekannten deutschen Lieder- und Opernsänger als völlig abartig empfand und nicht einmal die Worte finden konnte, um zu beschreiben, wie abartig genau.

Heute, 30 Jahre später, weiß ich, dass dies mein persönlicher Geschmack war und dieser Sänger wirklich gut war, auch wenn er mir noch immer nicht gefällt und auch wenn ich der Meinung bin, dass es viel bessere, viel weniger bekannte gibt. (Aber das ist eine andere Geschichte.)

Wie konnte es nun aber zu diesen Gefühlen kommen?

Persönlicher Geschmack, Unkenntnis und Hörgewohnheit

Mein persönlicher Geschmack verhindert es noch heute, dass mir dieser Sänger gefällt. Meine damalige Unkenntnis der Materie hat verhindert, dass ich seine Qualität erkennen konnte, trotzdem er mir nicht gefiel und meine Hörgewohnheiten (Popsongs der 70er und 80er) waren eben andere als Schubert oder Mozart.

Die Singmanier

Viele Opernsänger singen in “vornehmer” Singmanier. Und “vornehm” ist eben nicht “cool”, und zwar in den 70ern und 80ern noch weniger als heute! (Es tut mir Leid, dass ich das den nach 1990 Geborenen sagen muss, aber wir waren damals viel cooler als Ihr heute seid! ;-))

Jedenfalls kenne ich keinen einzigen Pop- oder Rocksänger, egal aus welcher Epoche, der sich der “vornehmen” Singmanier bedient.

Was mir auch damals schon gefiel, waren italienische Tenor-Arien, insbesondere die “Hits”: “Nessun dorma”, “E lucevan le stelle”, etc.. Das liegt wohl einerseits an den ungeheuren Hit-Qualitäten dieser Arien, andererseits aber auch an der italienischen Sprache. Der Nachkriegs-Deutsche hat ja ein gestörtes Verhältnis zu seiner Muttersprache. Schließlich spielt aber auch die weniger aufgesetzte Singmanier italienischer Opernsänger eine Rolle, die meinem Geschmack eher entgegen kommt.

Ich war noch nie ein Fan deutschen “Schnuten-Gesangs”.

Die Stimmgebung

Beim Operngesang steht die Kehle in der Regel tief und das Gaumensegel wird angehoben, um die berühmte “Gähnweite” zu erzielen, die dunkle, laute Töne bei minimalem Kraftaufwand und minimaler Beanspruchung der Stimmlippen ermöglicht.

Bei Pop- oder Rockgesang ist die Stimmgebung in der Regel “flacher”, nicht selten mit hoch stehender Kehle und mitunter sogar ungesund gepresst (“Boygroup-Sound”).

Was man aber nie vergessen darf: Egal wie unökonomisch oder ungesund die Stimmgebung auch sein mag – sie produziert einen eigenen Sound und der kann gewollt und passend zum Song sein.

Endlos die Zahl der Songs, die wahrscheinlich nur deshalb Erfolge wurden, weil sie stimm-physiologisch “schlecht” gesungen waren. (Aber natürlich dennoch musikalisch.)

Die Phrasierung

Beim Operngesang geht es in der Regel um große Legato-Bögen, bei denen die einzelnen Töne möglichst nahtlos miteinander verbunden werden, ohne den Atemfluss und den Stimmband-Schluss zu unterbrechen. Eine solche Phrasierung würde bei Pop-, Rock- oder Jazz-Songs befremdlich klingen.

In Pop-, Rock- oder Jazz werden die Töne eher einzeln angesungen und mit Portamenti verziert, anstatt sie wie Perlen auf eine Kette zu ziehen.

Entsprechend bescheiden ist das Hör-Erlebnis, wenn die Phrasierung das Ufer wechselt. Wenn ein Opernsänger einen einfachen Popsong genauso singt wie eine Opernarie. Die Zahl derer, denen das gefällt, dürfte sich in Grenzen halten. 😉

Umgekehrt gilt das natürlich genauso: Eine Opernarie mit Pop-Phrasierung zu singen, klingt ausgesprochen “billig”.

Himbeereis mit Knoblauch?

Vielleicht ist es hier hilfreich, eine Analogie zur Kochkunst herzustellen: Eine Opernarie mit Pop-Phrasierung zu singen ist so wie ein 4-Sterne-Essen mit Ketchup und Majo. Und einen Popsong wie eine Opernarie zu singen ist wie Himbeereis mit Knoblauch-Soße.

Es gibt natürlich immer Leute, denen so was schmeckt. Es gibt ja auch Leute, die rauchen …

Das Stimm-Volumen

Beim Operngesang liegt ein entscheidender Fokus auf Volumen und Tragfähigkeit der Stimme. Schließlich soll ein großer Saal ohne Verstärker beschallt werden. Dass viele Opernsänger dazu neigen, viel zu viel und mehr als nötig geben zu wollen, ist eine andere Geschichte.

Beim Pop-, Rock- und Jazz-Gesang kann man das Thema “Volumen und Tragfähigkeit” getrost vergessen. Auch der leiseste Furz lässt sich per Verstärker zu einem gewaltigen Donner aufbauen. Doch Spaß beiseite: Egal ob in einer Live- oder in einer Studio-Situation – die Stimme kann einfach in den Vordergrund gemischt werden, egal wie leise sie ist. Tragfähigkeit spielt entsprechend auch keine Rolle. Alles eine Frage des Mixes.

In der Oper hingegen muss dieser ideale Mix durch die natürliche Lautstärke der Instrumente und des Gesangs und der Positionierung dieser Schall-Quellen im Raum erreicht werden. Und natürlich durch die Dynamik, die die Instrumentalisten und Sänger erzeugen. Wie laut oder leise sie also spielen oder singen.

Als Anhaltspunkt für Leute, die hier keine Erfahrung haben: Mittellauter Operngesang ist etwa so laut wie lautes Rufen, lauter Operngesang wie lautes Gebrülle. Normaler Pop- oder Jazzgesang ist eher wie eine leise Unterhaltung im Wohnzimmer.

Die Klangfülle

Neben dem größeren Volumen sind Opernstimmen auch “reicher” im Frequenz-Spektrum. Jeder Ton, es sei denn, es handelt sich um einen künstlich generierten reinen Sinus-Ton, besteht ja aus einem Grundton und zahlreichen Obertönen, die alle zusammen die Klangfarbe eines Schall-Ereignisses bestimmen.

Opernstimmen haben nun sehr viele dieser Obertöne, insbesondere im Frequenzbereich zwischen 2 kHz und 3,5 kHz (Sänger-Formant). In diesem Frequenzbereich ist das menschliche Gehör am empfindlichsten. Selbst wenn ein Orchester jetzt relativ laut spielt und selbst wenn der Zuhörer in einiger Entfernung zum Sänger sitzt, kann er sich sein Gehirn anhand dieser Frequenzen, die seine Ohren noch immer wahrnehmen können, den Grundton “zurück rechnen”.

In unmittelbarer Nähe zu einem Opernsänger, und manchmal sogar im ganzen Saal, machen sich diese Frequenzen als Pfeifen oder Zwitschern bemerkbar. Man nennt sie auch das “Metall” oder den “Strahl” in der Stimme.

Auf Aufnahmen muss dieser Effekt nicht unbedingt positiv sein: Wer gerne laut Musik hört, kann das Metall in der Stimme dort als unangenehm empfinden. Ich habe immer meine Probleme, wenn ich Operngesang im Studio mische. Schließlich werden in diesem Frequenzbereich auch Töpfe ausgekratzt und Fingernägel an der Tafel abgebrochen!

Der Knödel

Dass man Knödel nicht nur auf dem Teller, sondern auch im Hals haben kann, durfte wohl jeder schon erfahren. Jedoch hört nicht jeder einen Knödel, wo ein anderer ihn hört. Wie auch immer -grundsätzlich kann  man zwischen dem hohen und dem tiefen Knödel unterscheiden.

Der hohe Knödel entsteht durch ein nach oben ziehen des Kehlkopfes und ein eng Stellen der Kehle und ist vor allem durch Kermit den Frosch aus der deutschen Muppet-Show populär geworden und wird auch gerne von Laien-Opernsänger-Imitatoren angewendet.

Der tiefe Knödel hingegen – Du ahnst es schon – entsteht bei tief gestelltem Kehlkopf und ist der “echte” Opernsänger-Knödel. (Ok, es gibt auch Opernsänger mit hohem Knödel, aber die sind sehr selten und meistens nicht erfolgreich.) Es gibt aber durchaus einige erstaunlich erfolgreiche Opernsänger mit tiefem Knödel.

In der Opernwelt wird der tiefe Knödel ebenso toleriert und gefördert wie eine übertrieben vornehme Singmanier, verbunden mit übertrieben deutlicher Artikulation (“spucken von Konsonanten”). Ich persönlich stehe da gar nicht drauf. Ich mag natürliche Artikulation und eine normale Singmanier, ohne künstliche Allüren. In der Praxis stellen knödelnde erfolgreiche Sänger aber doch eher die Ausnahme dar. Knödelnde weniger erfolgreiche Opernsänger sind hingegen eher die Regel.

Insgesamt ist das Niveau jedoch sehr hoch und es gibt mehr gute Sänger als der Markt benötigt.

Die Professionalität

Da Opernsänger in der Regel Gesang studiert haben und sich mit weitaus komplizierteren Melodien beschäftigen müssen, ist die Professionalität in der Regel auch größer als bei Pop- oder Rocksängern.

Viele Pop- oder Rocksänger sind “Studio-Helden”. Nur im Tonstudio reißen sie sich am Riemen und singen richtig. In Live-Situationen ist dann Intonation eher Glücksache. Ein Opernsänger könnte sich das auf keinen Fall leisten. Ich habe zahlreiche Popsänger im Kopf, die Welthits schrieben und auf den Aufnahmen auch super singen; bei Live-Auftritten aber nicht selten wie Anfänger klingen.

Was mag dafür der Grund sein? Ich denke, diese Leute sind musikalisch sehr talentiert, aber erstens nicht bewusst genug im Hinblick auf die Intonation ihres Live-Gesanges und zweitens nicht professionell genug im Umgang mit ihrer Stimme. Da die Stimmgebung nicht selten problematisch ist, gestaltet sich auch die Stimmkontrolle und damit die Intonation schwieriger.

Das Fazit

Alle Sänger haben eines gemeinsam: Sie machen “sprechend Musik mit der Stimme”! Es gibt allerdings erhebliche Unterschiede in den stimmlichen und stilistischen Anforderungen.  Werden diese nicht erfüllt, bzw. beachtet, kommt es zu unerwünschten Ergebnissen.

Die einzige  Bedingung, die alle Sänger aller Stile erfüllen müssen ist, die Töne gut zu treffen und im Rhythmus zu bleiben. Schlechte Intonation und schlechte Rhythmik klingen immer schlecht!

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Artikel-VÖ: 2.2.2015, 16:29