Ich sing doch nicht falsch!

Einen Sänger auf seine schlechte oder ungenügende Intonation hinzuweisen, ist eine heikle Angelegenheit. Wenn man sich nicht gerne unbeliebt macht, lässt man es besser bleiben.

Die Wahrheit ist aber, dass kaum ein Sänger, auch unter den Profis, wirklich immer sauber intoniert. Damit meine ich natürlich nicht das “keinen-einzigen-Ton-treffen” von Unmusikalischen, sondern das “dezente” detonieren mangels Aufmerksamkeit und/ oder geschärftem Gehör.

In meiner Zeit im Opernchor des Staatstheaters Braunschweig von 1997-1999 saß ein Bass-Kollege neben mir, der auch Klavierstimmer war. Ich war zwar zu jener Zeit schon Anfang 30, gehörte aber trotzdem noch zu den unbewussten Sängern, die sich auf ihre angeborene Musikalität verlassen und der Meinung sind, immer richtig zu singen. Als nun der betreffende Kollege zu mir sagte, ich sänge zu tief und solle besser hinhören, war ich ein ganz klein wenig beleidigt.

Fakt ist aber: Der Kollege hatte Recht!

Sich selbst immer aufmerksam zuhören

Einfaches, rustikales “drauf-los-Singen” hat durchaus seine Vorteile, gerade wenn man als Sänger zu Verkrampfungen und allzu “verkopftem” Singen neigt. Aber in Hinblick auf die Intonation ist es nicht selten verheerend! Denn der Ton, der letztlich der Kehle entsteigt, muss nicht gezwungenermassen mit dem übereinstimmen, den man zuvor im Kopf hatte. Permanente Kontrolle mit gespitzten Ohren ist daher unerlässlich.

Hör Dir also sehr genau selbst zu und nimm Dich auch immer wieder auf, um Vorstellung und Realität zuerst voneinander zu trennen – und dann zusammenzuführen.

Die beste Intonations-Übung ist, sich selbst immer genau zuzuhören

Sperr also nicht nur den Rachen, sondern auch die Ohren auf – wozu hast Du sie sonst?

Vielen Sängern, gerade, wenn sie kein Instrument spielen, ist auch nicht wirklich klar, welche Töne genau sie singen sollen. Eine ungefähre Vorstellung führt aber auch nur zu ungefähren Tönen.

Ich hatte kürzlich einen Studio-Kunden, der eine sehr hohe Meinung von seinen sängerischen Fähigkeiten hatte, jedoch nicht bereit war, sich mit seinen offensichtlichen Mankos auseinanderzusetzen.

Obwohl ich ihn nicht als unmusikalisch bezeichnen würde, wollte es ihm auch nach der weit über hundertsten Wiederholung und der dritten Aufnahmesession in 3 Wochen nicht gelingen, die Melodie korrekt wieder zugeben, obwohl sie sehr einfach war.

Ich habe sogar ein Übungsvideo für ihn erstellt, auf dem ich ihm die Töne einzeln und sehr langsam vorgespielt und vorgesungen habe.

Letztendlich blieben aber alle Versuche erfolglos und ich warte bis heute auf mein Geld, das ich wohl nie mehr sehe. Er meinte, er könne die Aufnahme ja nicht verwerten und übersah dabei, welche Ursache das hatte. Soviel zu seinem Dank für meine Bemühungen, seinen Gesang zu verbessern und  eine gute Aufnahme für ihn zu machen.

Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung

Es gehört wirklich Mut dazu, bestimmte Ist-Zustände, die sich nicht mit den eigenen Wünschen decken, anzuerkennen. Aber nur durch diese Anerkennung hat man die Chance, diese Ist-Zustände den eigenen Wünschen anzupassen. Wenn Du also momentan Intonations-Probleme hast, dann erkenne das an und übernimm dafür die Verantwortung. Bezahl das Tonstudio, das Dir das gezeigt hat und beginne, daran zu arbeiten. 😉

Wie gesagt: Sich selbst immer bewusst zuzuhören, ist die beste Intonations-Übung. Zusätzlich kannst Du aber noch folgendes tun.

Spezielle Intonations-Übungen

 1.) Die Acapella-Übung: In Opernarien hört das Orchester manchmal am Schluss auf zu spielen. Der Sänger oder die Sängerin singt dann ein paar Takte acapella, bevor das Orchester wieder einsteigt. Wenn der Sänger hier nicht weiß, welche Töne er GENAU zu singen hat und sich nicht richtig selbst zuhört, gibt es eine unangenehme Überraschung: Das Orchester klingt plötzlich so falsch, weil der Sänger in die falsche Tonart abgeglitten ist.

Es ist nämlich nicht leicht, acapella die Intonation zu halten. Baue zur Übung in die Songs, die Du übst, Acapella-Stellen ein: Wenn Du Dich selbst begleitest, hör ein paar Takte auf zu spielen und prüfe, ob es noch stimmt, wenn die Begleitung wieder einsetzt. Wenn Du zu einem Playback singst, mach die Lautstärke für ein paar Takte komplett runter, das kommt auf´s Gleiche heraus.

2.) Sich jeden Ton einzeln vorspielen (lassen): Spiel Dir jeden Ton der Melodie an einem sauber gestimmten Instrument vor. Ein Smartphone-Klavier tut es auch. Hör wirklich sehr genau hin und sing die Töne auch so genau wie möglich nach. Gerade bei Halbtonschritten haben wir oft etwas anderes im Kopf als tatsächlich angesagt ist.

Am besten machst Du Dir eine Aufnahme, die Du immer wieder anhören kannst und die die einzelnen Töne der Melodie in langsamem Übungstempo wieder gibt.

Fazit: Intonation bleibt immer ein Thema

Selbst wenn Du 10 x blitzsauber gesungen hast, kannst Du beim 11.ten Mal wieder daneben liegen. Saubere Intonation ist eine Grundvoraussetzung für guten Gesang und ein ständiger Prozess. Ebenso wie ein Geiger und im Gegensatz zu einem Pianisten muss ein Sänger jeden Ton während des musikalischen Vortrags blitzschnell zurecht stimmen. Die Intonation ist Teil des musikalischen Vortrags.

Das ist die Schwierigkeit und der besondere Reiz. Wie ist Deine Meinung dazu? Schreib mir einen Kommentar! 🙂