Schief singen erwünscht?

Klassische Sänger haben mitunter das zweifelhafte “Vergnügen”, Werke der sogenannten “Neuen Musik” singen zu müssen. Immer wenn das bei mir der Fall war – zum Glück nicht allzu häufig – war ich wenig angetan. Denn erstens sind willkürliche Tonaneinanderreihungen 10 x schwerer zu lernen als richtige Musik, zweitens ist es nicht gut für die Stimme, weil es sehr schwer ist, so etwas körperlich, instinktiv und mit Gefühl zu singen und drittes macht es keinen Spaß, sich das anzuhören.

Der bekannte Bassist Karl Ridderbusch hatte es sich vertraglich zusichern lassen, keine neue Musik singen zu müssen.

Wie bitte? Sie schreiben schöne Melodien???

Wer heutzutage ein klassisches Kompositionsstudium absolviert und sich wagt, schöne Melodien zu schreiben, der wird oft nicht mehr ernst genommen. Ganz davon zu schweigen, Pop-Songs zu schreiben, wie ich es tue.

Ist es tatsächlich so, dass alle “normalen” und schönen Melodien schon komponiert wurden, wie in entsprechenden Kreisen oft behauptet wird?

Wenn man mathematisch-kombinatorisch denkt, vielleicht. So viele Möglichkeiten gibt es nicht, mit den vorhandenen zwölf Tönen unseres Notensystems neue Tonfolgen zu kreieren.

Alles schon mal da gewesen?

In der logischen Konsequenz reihen Komponisten so genannter “neuer Musik” willkürlich Töne aneinander, mit dem guten Gefühl, dabei hohe Kunst zu erschaffen. Verächtlich schauen Sie auf die vermeintliche Primitiv-Musik herab mit ihren einfachen Melodien und Rhythmen.

Die Frage, die ich in diesem Zusammenhang stelle, lautet: Ist eine willkürliche Aneinanderreihung von Tönen wirklich höhere Kunst als ein “einfacher” Song wie z.B. “My Way”?

Ich glaube nicht. Denn wenn ich mit vollem Mund über einem Notenblatt niese, wird die entstehende Melodie mit Sicherheit auch kompliziert und sehr schwer zu singen sein – Kunst ist sie deswegen aber noch lange nicht!

Wo sind die modernen Opernhits?

“Nessun dorma” und “va pensiero” kennt jeder! Diese Stücke sind uralt – und verdammt gut! Aber wo sind die modernen Opernhits? Es gibt sie nicht! Wer heute tolle Melodien hören will, hat nur 2 Möglichkeiten: Entweder er hört die ollen Kamellen oder er flüchtet sich in die Popmusik!

Kakophonien in Schiss-Moll sind eben nicht zum Mitsingen. Und ins Ohr gehen sie schon mal gar nicht.

Einfach = langweilig?

Es wird auch oft argumentiert, dass schöne Musik langweilig sei. Immer dasselbe! Die selben Akkordfolgen in verschiedenen Songs, ganze Musikstile, die den gleichen Rhythmus, ja sogar die gleichen Sounds verwenden.

Das alles ist bestimmt richtig – objektiv betrachtet. Aber so ist es auch beim Sex: Langweilig, dieses ewige hin und her und rein und raus! Jedes Mal dasselbe. Du verstehst, was ich damit sagen will?

Die Grund-Problematik schon einmal in meinem Artikel die eingeschränkte Perspektive des Urteilenden besprochen. Wer kein Gefühl für Rhythmus und Groove hat, der hört eben nur, dass die Bassdrum die viertel durchspielt und die Snare auf die Zwei und die Vier kommt. Und erfasst damit nicht das Wesentliche.

Wer den Zauber einer schönen Melodie nicht spürt, für den ist sie eben nur eine primitive Abfolge von drei Tönen.

Aber im Endeffekt sind es doch im Gegenteil gerade die komplizierten Sachen, die immer gleich klingen. Weil es darin nichts gibt, was irgendeinen Wiedererkennungswert hat. Chaos ist für das menschliche Gehirn eben immer Chaos, auch wenn es jedes Mal ein anderes Chaos ist.

Musiker oder doch lieber Buchhalter?

Warum muss jemand, der den Zauber schöner Melodien oder eines treibenden Rhythmus nicht fühlen kann, Musik machen? Vielleicht hätte er lieber Buchhalter werden sollen?

Natürliche Bedürfnisse, wie essen, trinken, atmen, Sex oder das Hören von Musik und das Tanzen zu Musik haben nichts mit verkopftem, pseudointellektuellen Humbug zu tun.

Viel eher ist dieser Bereich etwas für Leute, die vergessen haben, was Musik eigentlich ist oder es niemals wussten! Und das Lamm schrie “Hurz”, wie schon HP Kerkeling treffend bemerkte! 😉

Fazit

Erinnern wir uns also an jene Gefühlsmischung aus Ekel, Betroffenheit und Mitleid, die man gemeinhin als Toleranz bezeichnet – und beschließen diesen Artikel mit den Worten: Jedem das Seine.